Oberbilker Geschichtsinitiative – Aktion Oberbilker Geschichten e.V.




Aktuelles


Führung zum „Tag des offenen Denkmals“ 2022
Ein Bericht

Am „Tag des offenen Denkmals“ der Stiftung Denkmalschutz am Sonntag 11. September 2022 hat der Oberbilker Geschichtsverein „Aktion Oberbilker Geschichte(n)“eine Führung veranstaltet. Über 30 Personen haben daran teilgenommen. Wir haben das Motto der Stiftung Denkmalschutz „KulturSpur“ mit dem Thema Wohnen in Oberbilk – von den Anfängen im 19. Jahrhundert bis heute“ aufgegriffen. Nach den Rückmeldungen zu urteilen, ist das bei den Teilnehmer:innen auf Interesse gestoßen. Die Spur des Wohnens durch die Geschichte bis heute zu verfolgen, ist nicht nur spannend, sondern auch lehrreich.

Die Idee war, neben baulichen Zeugnissen auch Zeitzeug:innen zu Wort kommen zu lassen. Gerade diese persönlichen Schilderungen wurden von den Teilnehmer:innen sehr positiv aufgenommen. Frau Ute Pannes, die allen aus unserem Video (siehe weiter unten auf dieser Seite) bekannt sein dürfte, hat sehr lebendig vom Wohnen im Bunker unter dem Oberbilker Markt erzählt, so wie sie es als Kind in den Jahren 1947/48 erlebt und aus den Schilderungen ihrer Mutter übernommen hat. Der 2019 verstorbene, in Oberbilk geborene Schriftsteller Dieter Forte kam durch Brigitta Buchmann zu Wort, die Passagen aus seinem Werk vorgetragen hat.* Forte schildert in seinen autobiographisch gefärbten Romanen u.a. auch, wie die Menschen unmittelbar nach Kriegsende bemüht waren, sich in den Trümmern wieder halbwegs wohnlich einzurichten. Bernadette Calasse hat in Welt der Oberbilker Hinterhöfe eingeführt.* Dabei wurde eine bemerkenswerte Kontinuität der gewerblichen, handwerklichen, heute auch künstlerischen Nutzung der Hinterhöfe deutlich. Die Hinterhofstruktur ist historisch durch die in den ersten Jahrzehnten noch völlig ungeplante Bebauung entlang der Straßen, später auch planmäßig als Blockrandbebauung entstanden. Zum Schluss hat Khalifa Zariouh, Initiator des Maghreb-Maifests an der unteren Ellerstraße und ein wichtiger Vertreter der marokkanischen Community in Oberbilk, sehr anschaulich vom Ankommen der damals so genannten „Gastarbeiter“ in den 1970er Jahren berichtet, vom anfänglichen Wohnen im Keller und in überbelegten Wohnungen – die Kontinuität mit den Erfahrungen früherer Zuwanderergenerationen war beindruckend.

Die Kombination aus Vortrag, einer gedruckten Handreichung für alle Teilnehmer:innen (siehe den Link unten) und Zeitzeug:innen-Erzählungen, die wir in dieser Form erstmals ausprobiert haben, hat sich sehr gut bewährt. Zeitlich war das Programm etwas zu ambitioniert. Auf den letzten Programmpunkt, die Entwicklung auf dem Grand Central-Gelände in der Nähe des Hauptbahnhofs, mussten wir deshalb verzichten. Die Umnutzung ehemaliger Industrieflächen für Wohnzwecke hatten wir schon am Bsp. des Neubauprojekte „Schöffenhöfe“ in der Mindener Straße thematisiert, beim Grand Central wäre es dann darum gegangen, dass diese Flächen inzwischen auch in den Fokus der Immobilienspekulation geraten sind – eine Entwicklung, die man sich vor 20 Jahren noch nicht hätte vorstellen können. 

Oberbilker Markt – Treffpunkt am Bücherschrank


Mit den Häusern der ehemaligen Aders’schen Wohnungsstiftung in der Monheimstraße (aber auch mit dem Bsp. der noch existierenden Wohnungsgenossenschaften) haben wir schließlich auch eine Thematik aufgegriffen, bei der man von historische Beispielen auch sehr viel für die Gegenwart lernen kann: Der Aders’schen Stiftung war es möglich, für die damalige Arbeiterbevölkerung preiswerteren Wohnraum als die private Konkurrenz zu bauen: Die Wohnungen in den Häusern der Aders’schen Stiftung waren i.d.R. größer und besser ausgestattet, die Baukosten waren deshalb auch höher als in der privaten Wohnungswirtschaft, und trotzdem konnte die Stiftung ihre Wohnungen günstiger als die privaten Hausbesitzer anbieten! Möglich war das, weil die Aders’sche Wohnungsstiftung nicht profitorientiert, sondern (wie auch die Genossenschaften) nach dem Prinzip der Kostendeckung gewirtschaftet hat! Es lohnt sich also, beim heutigen Nachdenken über bezahlbare Alternativen zur markt- und profitorientierten Wohnungswirtschaft und -politik auch einen Blick in die Geschichte zu werfen.
 
Unter dem folgenden Link können die Stationen und die Handreichung für die Teilnehmer:innen heruntergeladen werden: 

https://www.dropbox.com/sh/gpsezwk0l68v6k3/AAB0fCic2iI_MSE1Q_t0RQffa?dl=0

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*Brigitta Buchmann und Bernadette Calasse veranstalten im Rahmen des Projekts „Stadtteil-Guides“ des Runden Tisches Oberbilk selbst Führungen in Oberbilk zu den Themen „Auf den Spuren von Dieter Forte“ und „Hinterhöfe in Oberbilk“.



Gedenkveranstaltung in Oberbilk für die Opfer des Novemberpogroms 1938 – Mittwoch, 9. November 2022

Am 14. 11. 2021 haben wir erstmals eine Gedenkveranstaltung für die Opfer des Novemberpogroms 1938 durchgeführt. Das wollen wir auch in diesem Jahr am 9. November wieder tun. Wir verbinden damit die Hoffnung, dass dieses Gedenken zu einer gelebten Tradition im Stadtteil wird. Wenn wir die Namen und Schicksale der Opfer in Erinnerung behalten, haben die Täter nicht das letzte Wort.

Der Oberbilker Geschichtsverein „Aktion Oberbilker Geschichte(n) e.V.“ will mit den Gedenkveranstaltungen an die Menschen jüdischer Herkunft erinnern, die in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 in Oberbilk zu Opfern des Naziterrors wurden. Das Novemberpogrom 1938 war ein Wendepunkt, der eine Verschärfung der Ausgrenzung und Verfolgung von Menschen jüdischer Herkunft durch die Nazis einleitete, was schließlich in den Holocaust mündete. In Düsseldorf war davon der Industrie- und Arbeiterstadtteil Oberbilk besonders stark betroffen.

Der Verein „Aktion Oberbilker Geschichte(n)“ verbindet das Gedenken an die Opfer mit einer Mahnung an die heute Lebenden: Antisemitismus, fremdenfeindliche Diskriminierung, Hass und Gewalt sind nicht verschwunden, im Gegenteil, sie nehmen wieder zu. Das zeigen Mordanschläge wie in Halle oder in Hanau. Solche Gewalttaten werden in Oberbilk, wo Menschen unterschiedlicher Herkunft, Kultur und Religion zusammenleben, nicht nur mit großer Betroffenheit, sondern von vielen auch als direkte Bedrohung wahrgenommen.

Dieser Bedrohung müssen wir uns gemeinsam entgegenstellen!

Gedenkveranstaltung am 9.11. 2021: Stellvertretend für alle Opfer des Novemberpogroms in Oberbilk wurden bei der Gedenkveranstaltung im Jahr 2021 die Schicksale der Familie Max und Frieda Jordan, Hüttenstraße 144 sowie der Familie Adolf und Malviene Brodt, Lessingstrasse 25 in Erinnerung gerufen. Nähere Angaben zum Schicksal der beiden Familien können unter dem folgenden Link eingesehen werden: https://www.dropbox.com/s/tpje2chuyfsoyb0/H%C3%BCttenstra%C3%9Fe%20144%20-%20Lessingstra%C3%9Fe%2025%20Kopie.pdf?dl=0

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Aktion Oberbilker Geschichte(n) e.V.

Foto: Im Uerige am Oberbilker Markt 2020

Gründung des Trägervereins der Oberbilker Geschichtsinitiative „Aktion Oberbilker Geschichte(n)“ am 30. 1. 2020: Gründungsmitglieder (v.l.n.r.): Caroline Authaler, Marina Lukas, Helmut Schneider, Uwe Warnecke, Dirk Sauerborn, Marko Siegesmund, Raimund Klingner, Thomas L.H. Schmidt, Dieter Sawalies, Katja Goldberg-Hammon, Conny Häusler

Vorstand

  • Dr. Helmut Schneider, Sprecher des Vorstands
  • Anna Ziener
  • Thomas L.H. Schmidt


Wissenschaftlicher Beirat

  • Dr. Caroline Authaler, Historikerin, Abt. Geschichtswissenschaft/Universität Bielefeld
  • Dr. Peter Henkel, Historiker, Förderkreis Industriepfad Düsseldorf e.V. (FKI), Projektleiter ‚Jubiläumsausstellung 75 Jahre NRW‘ bei der Stiftung Haus der Geschichte Nordrhein-Westfalen
  • Sahra Kamali, Sozialwissenschaftlerin, Institut für Soziologie, Universität Duisburg-Essen
  • Dr. Benedikt Mauer, Historiker, Institutsleiter Stadtarchiv der Landeshauptstadt Düsseldorf
  • Dr. Anna Michaelis, Historikerin, Historisches Institut der Universität Duisburg-Essen
  • Prof. Dr. Horst A. Wessel, Wirtschaftshistoriker, ehem. Leiter des Konzernarchivs der Mannesmann AG


Der Verein „Aktion Oberbilker Geschichte(n)“ ist ein eingetragener gemeinnütziger Verein. Spenden sind steuerlich abzugsfähig. Eine entsprechende Spendenquittung stellen wir gern aus.

Kontakt:
Aktion Oberbilker Geschichte(n) e.V.
c/o Dr. Helmut Schneider: helmut.schneider@uni-due.de

Kontoverbindung:
Volksbank Düsseldorf Neuss eG
IBAN: DE94 3016 0213 0058 3960 10
BIC: GENODED1DNE

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Oberbilk hat es in sich!
Eine Video-Einladung zum Kennenlernen

In dem folgenden Video möchte der Oberbilker Geschichtsverein „Aktion Oberbilker Geschichte(n) e.V.“ den Düsseldorfer Stadtteil Oberbilk vorstellen. Am Beispiel von drei Stationen – Oberbilker Markt – Bertha von Suttner Platz und dem sogenannten „Maghreb Viertel“ – werden einige Aspekte der spannenden Geschichte des ersten Industrie- und Arbeiterviertels der Stadt Düsseldorf erläutert. Es ist eine Geschichte, die nicht zu Ende ist, die jeden Tag von den Bewohner*innen des Stadtteils neu gemacht wird.

Kamera und Montage: Leonie Jerman

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Oberbilk – ehemaliges Industrie- und Arbeiterviertel und multikulturelles Quartier

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war das Gebiet des heutigen Düsseldorfer Stadtteils Oberbilk ländlich geprägt, weniger als 1.000 Menschen lebten hier. Es fanden sich hier vor allem Bauernhöfe und kleine Handwerksbetriebe. Ein lokalgeschichtlich prominenter Ort war die 1238 erstmals erwähnte Hundsburg, ein kleines 1943 zerstörtes Anwesen am Rande des heutigen Volksgartens. Heinrich Heine erwähnt es in seinen Memoiren, weil hier seine Jugendliebe (das „rote Sefchen“), Tochter des Scharfrichters, wohnte.
(Information Benedikt Mauer, Leiter des Stadtarchivs).

Gedenkstein am Standort der Hundsburg am Südrand des Volksgartens, Foto: Schneider 2020


Oberbilk als Industrie- und Arbeiterviertel ist erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden. Die ersten Unternehmer kamen nicht aus Düsseldorf, sondern aus frühindustrialisierten Regionen wie Wallonien oder dem Mittelgebirgsraum der Eifel, der bereits durch eine handwerklich-protoindustrielle Eisenverarbeitung geprägt war. In der Residenz- und Verwaltungsstadt Düsseldorf selbst gab es keine nennenswerte Tradition des produzierenden Gewerbes.

Eisen- und Stahlerzeugung sowie metallverarbeitende Betriebe wie Maschinen- und Kesselbau prägten die Industrialisierung in Oberbilk. Die Unternehmer brachten nicht nur ihre Ingenieure und Techniker, sondern auch ihre Facharbeiter mit. Viele kamen aber auch aus weiter entfernten Regionen wie z.B. Irland oder Polen. Als Folge war die Bevölkerung des Quartiers von Beginn an durch ein Mit- und Nebeneinander unterschiedlicher Kulturen geprägt. Das verbindende Element war die geteilte soziale Lage, die Arbeit in den Fabriken des Stadtteils. 1885 war die Einwohnerzahl Oberbilks bereits auf 11.800 angestiegen, und mit ca. 32.000 erreichte sie kurz vor dem Zweiten Weltkrieg ihren Höchststand.

Heute leben im Stadtteil Oberbilk wieder rund 30.000 Menschen. Davon haben fast 56 % eine Migrationsgeschichte. Mit dem Zuzug von „Gastarbeitern“, von Arbeitsmigranten und Flüchtlingen hat sich die multikulturelle Bevölkerungszusammensetzung bis heute erhalten. Aber heute fehlt das verbindende Element der gemeinsamen Arbeit in den Fabriken. Die Industrie ist verschwunden und damit werden die Unterschiede zwischen den „vielerlei Kulturen“ sichtbarer und auch anders erlebt. 


Geschichte im Stadtbild erleb- und erfahrbar machen

Die Oberbilker Geschichtsinitiative und ihr Trägerverein „Aktion Oberbilker Geschichte(n)“ haben sich zum Ziel gesetzt, die Geschichte des Stadtteils an ausgewählten „historischen Orten“ im Quartier erfahrbar und erlebbar zu machen. Wie das gelingen kann, obwohl z.B. aus der industriellen Vergangenheit kaum noch Spuren im Stadtbild sichtbar sind, gehört zu den Herausforderungen, denen sich die Geschichtsinitiative stellen will. Nach ihrem Verständnis ist Stadtteilgeschichte auch weitaus mehr als Industriegeschichte. Damals war mit der Industrie und den zugewanderten Arbeitskräften auch „eine vielsprachige, fremdartige, künstlich geschaffene neue Welt aus vielerlei Kulturen“ entstanden, wie es der in Oberbilk geborene Schriftsteller Dieter Forte ausgedrückt hat. Geschichte umfasst deshalb nicht zuletzt auch die Geschichte der Zuwanderung, die den Stadtteil seit seiner Entstehung im 19. Jahrhundert geprägt hat und in anderer Form bis heute prägt.

Geschichte beginnt zudem nicht erst ab einem bestimmten Zeitpunkt, sie reicht vielmehr bis in die Gegenwart. Jeden Tag wird aufs Neue Geschichte gemacht! Darüber hinaus werden historische Ereignisse und Fakten von den Menschen je nach Lebenslage und Interessen sehr unterschiedlich wahrgenommen und interpretiert. Deswegen existiert nach unserem Verständnis Geschichte auch nur im Plural: Unbestreitbare Fakten wie z.B. die Existenz eines Stahlwerks auf dem Areal hinter dem Hauptbahnhof oder die Barrikaden der Spartakisten im April 1919 auf dem Oberbilker Markt spiegeln sich immer in einer Vielzahl von persönlichen Wahrnehmungen und erlebten Geschichten wider.

Diese Geschichten wollen wir über Gespräche und Interviews mit Zeitzeugen, die aufgezeichnet und digital zugänglich gemacht werden sollen, lebendig werden lassen. Aber auch historische Quellen, in denen Zeitzeugen zu Wort kommen, sollen dazu herangezogen und ausgewertet werden. Ein wichtiges Anliegen dabei ist es, dass auch die Zuwanderer, die Menschen mit Migrationsgeschichte, die heute in Oberbilk die Mehrheit der Einwohner ausmachen, einbezogen werden, dass sie ihre Geschichten erzählen können und ihre Stimme gehört wird. Schließlich wollen wir auch jungen Menschen historische Themen nahebringen, indem wir verdeutlichen, wie sehr zurückliegende Entwicklungen auch das Leben im Hier und Jetzt beeinflussen: das umfasst alle Bereiche der Gesellschaft, von Stadtentwicklung und Städtebau über Wirtschaft, soziale und kulturelle Entwicklungen bis hin zur Politik.

Wir haben uns Einiges vorgenommen. Es wird sich nicht alles sofort realisieren lassen, aber wie jede große Reise beginnt auch unser Vorhaben mit dem ersten konkreten Schritt. Zur Diskussion stehen derzeit das Oberbilker Stahlwerk und der Oberbilker Markt als zwei „historische Orte“, an denen wir mit der Umsetzung unserer konzeptionellen Ideen starten wollen.


Historischer Ort: Das Oberbilker Stahlwerk

Auf dem heutigen Bertha von Suttner-Platz am Ost-Eingang des Hauptbahnhofs erinnert mit Ausnahme von zwei etwas versteckten und leider nur nachlässig gepflegten Hochreliefs nichts mehr an die Zeit, als hier das Oberbilker Stahlwerk stand – immerhin von 1864 bis zur endgültigen Aufgabe im Jahr 1979.

Das aus drei übergroßen Skulpturen bestehende, von dem Künstler Horst Antes geschaffene Kunstwerk in der Mitte des Platzes wurde zwar aus Edelstahlplatten der Firma Thyssen, dem langjährigen Eigentümer des Stahlwerks, geschnitten. Als Verweis auf die frühere Nutzung des Platzes war es vom Künstler aber wohl nicht gedacht. Es ist eher als Rätselbild zu Grundfragen menschlicher Existenz zu verstehen, dessen Sinn man sich selber erschließen muss.

Bertha von Suttner-Platz, Foto: H. Schneider 2020

Auf dem Bild unten ist eines der Reliefs am Ostausgang des Bahnhofs zu sehen, das zwei stilisierte Stahlarbeiter bei der Probeentnahme am Siemens-Martin-Ofen zeigt.

Oberbilker Stahlwerk 1955, Quelle: Stadtarchiv 5-8-2-001-016.0001

Carl Poensgen, Angehöriger der aus der Eifel stammenden Unternehmerfamilie Poensgen hatte das Stahlwerk 1864 zusammen mit Friedrich Giesbers gegründet, später kamen Angehörige der belgischen Unternehmerfamilie Piedboeuf als Mitgesellschafter hinzu. Der hier produzierte Stahl wurde u.a. zu Eisenbahnschienen, Radachsen, Schiffs- und Turbinenwellen sowie zu Stahlröhren verarbeitet, im benachbarten Röhren- und Eisenwalzwerk an der Kölner Straße und ab 1923 auch im Röhrenwerk Reisholz. 1866 hatte das Oberbilker Werk 120 Beschäftigte, am Vorabend des 1. Weltkriegs waren es bereits 1.200 Arbeiter. 1906 wurde es von August Thyssen übernommen und war dann seit 1926 Teil der Thyssen-Bornemisza-Gruppe.

Das Oberbilker Stahlwerk blieb von der in den 1960 Jahren einsetzenden wirtschaftlichen Strukturkrise nicht verschont. Als das Unternehmen Anfang der 1970er Jahre von Mannesmann übernommen wurde, war die Stahlerzeugung bereits eingestellt worden. Schon im Jahr 1962, damals waren im Oberbilker Stahlwerk noch 1.100 Arbeitskräfte tätig, hatte sich das Unternehmen gegenüber der Stadt Düsseldorf verpflichtet, bis spätestens Ende 1986 das Werk zu räumen, die Aufgabe des Standorts wurde dann sogar vorzeitig bereits 1979 abgeschlossen. Damit war der Weg frei für ein neues Kapitel der Stadtentwicklung: Auf dem Gelände des Oberbilker Stahlwerks sollte dann in den 1980er Jahren die sog. City-Ost mit dem Bertha von Suttner-Platz entstehen. Die Oberbilker Bevölkerung erhielt im Zuge dieser Neugestaltung auch erstmals einen direkten Zugang zum Hauptbahnhof. Zuvor war der Bahnhof für die Bewohner*innen Oberbilks nur über den Umweg der Kölner oder Ellerstraße und durch die dunklen Unterführungen unter den Bahngleisen hindurch zu erreichen.

Quelle zur Geschichte des Oberbilker Stahlwerks: Wessel, Horst A. (2018): Stahlerzeugung in Düsseldorf. In: Mauer, Benedikt/Stahl, Ennno (Hrsg.): Düsseldorfer Erinnungsorte. Essen, 307-312.


Historischer Ort: Der Oberbilker Markt

Dieter Sawalies

Der Oberbilker Markt gilt als Mittelpunkt, gar als das Herz Oberbilks. Seit 1874 ist er als rechteckige Aufweitung der Bogenstraße und einem annähernd quadratischen Marktplatz in den Stadtplänen erkennbar. Um 1900 wurde der Platz durch eine meist viergeschossige Bebauung eingefasst, die ältere Bebauung ist vollständig verschwunden. Die nahegelegene, im Jahr 1872 geweihte katholische Josefskirche zählt deswegen zu den ältesten noch existierenden Bauwerken Oberbilks. Die evangelische Christuskirche, ebenfalls in unmittelbarer Nähe zum Oberbilker Markt, wurde 1899 fertiggestellt. Die Bevölkerungszunahme im Stadtteil, bedingt auch durch die Zuwanderung Arbeitsuchender aus protestantisch geprägten Räumen, hatte den Bau einer evangelischen Kirche erforderlich gemacht.

Ansichten des Oberbilker Marktes nach der im Jahr 2015 abgeschlossenen Umgestaltung; Foto: H. Schneider Juli 2021

Der Oberbilker Markt entwickelte sich zum Mittelpunkt des Arbeiterviertels. Allerdings war die Geschlossenheit des Platzes von Anfang an durch die Verkehrsachsen der Kölner und Kruppstraße gestört. Später kamen eine Eisenbahnlinie und dann eine Straßenbahntrasse hinzu. Auf der Eisenstraße verliefen bis 1891 in der Mitte zwischen den beiden Fahrwegen die Trasse der „Cöln-Mindener Eisenbahn“, die weiter über den Markt hinaus in die heutige Mindener Straße einmündete. Bis dahin gab es nur eine befestigte Straße, die Chaussee von Düsseldorf nach Benrath, die heutige Kölner Straße. Ansonsten existierten nur Feldwege, die später zu Straßen wurden, wie unter anderem die Ellerstraße. Am Beginn der industriellen Entwicklung zählte man in der Flur Oberbilk etwa 30 bebaute Grundstücke, auf die sich Anfang des 19. Jahrhunderts die gesamte Bevölkerung Oberbilks verteilte. Der Stadtteil wuchs mit der fortschreitenden Industrialisierung, es entstanden zahlreiche Handwerksbetriebe und Fabriken. Arbeiterwohnungen wurden neben der Bahnlinie und der noch ländlich geprägten Bebauung errichtet. Die Kruppstraße und die Werdener Straße wurden in den 1890er Jahren, als die Gleise der Köln-Mindener Bahnlinie aufgegeben und entfernt wurden, schrittweise zweispurig ausgebaut.

Im Zentrum nahe der Kreuzung stand eine große Straßenuhr im Jugendstil, wie etwa heute noch auf der Königsallee am Corneliusplatz. Auf dem Marktplatz befand sich ein kioskähnliches Milchbüdchen mit spitzem Turm. Es war kein Schmuckplatz, nicht vergleichbar mit anderen Plätzen im Stadtbezirk, an denen ein repräsentativer Kirchenbau dominiert, wie etwa der Kirchplatz oder der Josefsplatz. Es war auch keine „grüne Lunge“ wie der Lessingplatz oder eine durch historische Freiraumplanung geprägte Anlage wie der heute denkmalgeschützte Fürstenplatz in der Friedrichstadt. Der Oberbilker Markt hatte nie den Charakter eines ‚richtigen‘ Platzes, eher war es ein Verkehrsknotenpunkt, zwischen Handwerksbetrieben, Fabriken und Wohnbauten an den Bahngleisen und der Kölner Straße gelegen. Nicht ohne Grund kommt in der Ortsbezeichnung das Wort „Platz“ gar nicht vor. Über die Benennung des Oberbilker Marktes führt Hermann Kleinfeld (1996) in seinem Standardwerk über „Düsseldorfs Straßen und ihre Benennung“ aus: Obwohl der Platz seit der Jahrhundertwende unter diesem Namen allgemein bekannt ist und auch als Markt genutzt wurde, erscheint er erst ab 1955 in den Adressbüchern.“

Gleichwohl war der Oberbilker Markt aber auch ein geschichtsträchtiger Ort. Für die im Industrie- und Arbeiterviertel Oberbilk starke sozialistische Arbeiterbewegung spielte der Platz eine wichtige Rolle. Während der Novemberrevolution 1918/19 war der Stadtteil eine Hochburg des Spartakusbundes, aus dem später die KPD hervorging. Am 12. und 13. April 1919 hatten aufständische Arbeiter auf dem Oberbilker Markt Barrikaden errichtet. Der Aufstand wurde jedoch durch das berüchtigte paramilitärische „Freikorps Lichtschlag“ blutig niedergeschlagen. Dabei wurde auch Artillerie eingesetzt. Rund 40, nach anderen Berichten bis zu 50 Menschen kamen bei dieser Militäraktion ums Leben. 

Auch danach und bis heute war und ist der Oberbilker Markt Schauplatz politischer und gewerkschaftlicher Aktionen und Demonstrationen. Hier fanden unter anderem die Kundgebungen zum 1. Mai, dem Feier- und Kampftag der sozialistischen Arbeiterbewegung statt. Das Fest des Heiligen Joseph, dem Namensgeber der nahegelegenen katholischen Josephskirche und Schutzpatron der Arbeiter, feierte man in Oberbilk nicht wie andernorts üblich am 19. März, sondern am 1. Mai – die gewerkschaftliche Maifeier und das religiöse Fest des Heiligen Joseph am selben Tag zu begehen, erschien an diesem Ort vollkommen naheliegend und wurde nicht als Gegensatz empfunden. Das Arbeiterviertel war lange auch ein Bollwerk gegen den aufkommenden Nationalsozialismus. Noch im Jahr 1933 kam es auf dem Oberbilker Markt zu einer Protestkundgebung gegen die Nazi-Partei.

Der Stadtteil Oberbilk blieb während des Zweiten Weltkriegs nicht von Bombenangriffen verschont. Viele kriegswichtige Rüstungsbetriebe und der Hauptbahnhof machten das Quartier zu einem wichtigen Ziel alliierter Luftangriffe. Aber noch bevor die schweren Flächenbombardements Düsseldorf erreichten, wurde am 13. Oktober 1941 ein britischer Bomber abgeschossen, der in einen Häuserblock im Bereich Kruppstraße – Oberbilker Markt – Eisenstraße einschlug, diesen verwüstete und zahlreiche Opfer forderte. Was zu dieser Zeit noch Schaulustige anzog, sollte sich wenig später zur prägenden Realität Oberbilks und der gesamten Stadt entwickeln. Bei späteren Luftangriffen wurden große Teile Oberbilks, auch rund um den Oberbilker Markt einschließlich der Josefskirche, schwer getroffen. Obwohl die Industrieanlagen und der Bahnhofsbereich wichtige Ziele alliierter Bombenangriffe waren, war der Zerstörungsgrad geringer als etwa im Innenstadtbereich. 50% der Wohnungen mussten als Totalverluste gelten, 35% blieben unzerstört.

Kurz nach Kriegsende wurden um den Oberbilker Markt die zerstörten und schwer beschädigten Häuser abgerissen und machten einfachen Wohngebäuden, Werkstätten, Abstellflächen und einer Tankstelle Platz. Der Wiederaufbau Oberbilks konnte Anfang der 1960er Jahre als abgeschlossen gelten. In den 1980er Jahren erhielt der Oberbilker Markt durch den Neubau der Zweigstelle der Stadtsparkasse an der Westseite ein moderneres Gesicht. 1988 wurde auch der Platz selbst neu gestaltet. In den Folgejahren gingen von der Neubebauung der Industriebrache auf der gegenüberliegenden Seites des Oberbilker Marktes („Haus der Wirtschaft und Industrie“, Planung eines „Internationalen Handelszentrums“), der Errichtung eines neuen Gebäudes für das Land- und Amtsgericht an der Werdener Straße sowie dem Umbau der Werdener Straße Impulse für eine erneute Umgestaltung des Oberbilker Marktes aus. Nach einer mehrjährigen Planungs- und Umsetzungsphase wurde diese Umgestaltung dann im Jahr 2015 abgeschlossen. Man kann davon ausgehen, dass es nicht die letzte Veränderung des Oberbilker Marktes gewesen sein wird.



Die Umgestaltung des Oberbilker Marktes – eine verpasste Chance
Dieter Sawalies (seit 1999 Mitglied der Bezirksvertretung 3) 

Der Oberbilker Markt hatte nie den Charakter eines ‚richtigen‘ Platzes, eher die Anmutung eines Verkehrsknotenpunktes. Es ist bezeichnend, dass er in den Adressbüchern der Stadt erst 1955 genannt wird. Diese Vorgeschichte der Benennung verweist bereits auf die Problematik des Oberbilker Marktes als städtischer Platz. Unstrittig ist der Oberbilker Markt aber ein geschichtsträchtiger Ort und er gilt zu Recht auch als Mittelpunkt des Stadtviertels. 

Nach den massiven Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg erhielt der Oberbilker Markt erst in den 1980er Jahren mit dem Neubau der Zweigstelle der Stadtsparkasse an der Westseite eine moderneres Gesicht, 1988 wurde auch der Platz selbst neu gestaltet, die Geschichte des Platzes spielte dabei allerdings keine Rolle. Wenig später entstand auf der gegenüberliegenden Seite der Kölner Straße das „Haus der Wirtschaft und Industrie“ (HWI) als Teil eines ambitionierten, aber am Ende schließlich nicht realisierten Projekts für ein „Internationales Handelszentrum“ (IHZ). Dadurch und durch den Umbau der Werdender Straße sowie dem Neubau des Land- und Amtsgerichtes des Landes NRW im Jahr 2009 erlangte der gesamte Stadtteil eine neue Bedeutung: „Veranlasst durch diese Entwicklungen des Stadtteils und dem Wunsch nach Attraktivierung des Wochenmarktes, wurde die Umgestaltung des Oberbilker Marktes als Förderprojekt des Landes angestoßen. Insgesamt wurden 6.000 qm Oberfläche neu gestaltet.“ (Landeshauptstadt Düsseldorf 2021).

Mit dem Bau des HWI und der „Öffnung“ des Oberbilker Marktes zum Vorplatz an der Ecke Kölner und Werdener Straße war nun aber ein städtebauliches Problem entstanden, das bis heute nicht befriedigend gelöst werden konnte: Es kam zu einer vorher nicht existierenden Zweiteilung des Oberbilker Marktes, die auch mit den Plänen von 2009 nicht überwunden werden konnte. Der Vorplatz vor dem ursprünglich als sowjetisches „Haus der Wirtschaft und Industrie“ (HWI) konzipierten Gebäude wird inzwischen vielmehr als ein ‚anderer Platz‘ empfunden, den es offiziell als Platz aber gar nicht gibt; in den Medien wird er wegen des dort errichteten Puschkin-Denkmals oft auch als Puschkin-Platz bezeichnet. Allerdings würde es keine Bezirksvertretung wagen, diesen ‚anderen Platz‘ auch offiziell so zu benennen, da die historische Einheit des Oberbilker Marktes gewahrt bleiben soll. Gleichwohl hätte es der Vorplatz zum HWI eher verdient, Platz genannt zu werden, denn er hat, was der Oberbilker Markt vermissen lässt: eine Säule im Zentrum, eine bepflanzte Anlage und eine Sichtachse in einen Park (City Park). Was den berühmten russischen Dichter Alexander Puschkin mit Oberbilk verbindet und was seine Ehrung mit einem Denkmal zur Identität des Quartieres beitragen soll, erschließt sich allerdings nicht ohne weiteres. Dabei ist es durchaus eine interessante Geschichte, warum sein Denkmal auf dem Platz vor dem HWI steht. Es ist eine Geschichte, die mit der Entwicklung Oberbilks nach dem Ende des Industriezeitalters zu tun hat – sowie mit hochfliegenden und am Ende gescheiterten Plänen, die es in den 1990er Jahren gegeben hat. 

Bis zur Umgestaltung der Industriebrache zwischen Bahnlinie, Kölner und Werdener Straße im Zuge der Planungen für das „Internationale Handelszentrum“ befand sich entlang der Kölner Straße eine den Platz begrenzende Häuserzeile. Diese Gebäude wurden bis zu ihrem Abbruch von diversen Kulturinitiativen genutzt. Darunter war auch das „Café Rosa Mond“, das vielen Menschen noch sehr lebendig als identitätsstiftender Ort der lesbisch-schwulen Community in Erinnerung sein dürfte. Etwas vergleichbar Neues ist nicht mehr entstanden.

In der Bevölkerung waren die Wünsche nach einem erneuten Umbau und einer Aufwertung des Platzes nie verstummt. Nach einer längeren Planungs- und Realisierungsphase wurde schließlich 2015 der jüngste Umbau des Oberbilker Marktes abgeschlossen. Allerdings sucht man auch jetzt vergebens nach städtebaulichen Ankerpunkten, die es den hier lebenden, aus über 110 Nationen stammenden Menschen ermöglichen könnten, Vertrautheit mit dem Ort und eine Identifikation mit dem Stadtviertel zu entwickeln. Hier lädt nur die „grüne Ecke“ an der Bogenstraße unter den mächtigen Platanen vor der Gaststätte „Uerige am Markt“ als Aufenthalts- und Kommunikationsort ein. Der große Rest ist Freifläche, leerer Raum und verkehrsreiche Achse, die den Platz zerschneidet, der dennoch als historische Mitte und als Herzstück Oberbilks verstanden wird. In der Ortsbezeichnung des Oberbilker Marktes fehlt nicht nur das Wort „Platz“, sondern eben auch das, was einen innerstädtischen Platz als öffentlichen Raum mit hoher Aufenthaltsqualität ausmacht: ein symbolisches Zentrum zu sein, das die Begegnung von Menschen ermöglicht, das die Lebensqualität für die Menschen, die hier wohnen und arbeiten sowie die Atmosphäre des sozialen Miteinander positiv beeinflusst.

Durch einen Beschluss der Bezirksvertretung 3 im Herbst 2008 wurden die Bürger in den Planungsprozess für die erneute Umgestaltung eingebunden Es gab auch eine Jury, die sich aus Vertreter*innen der Verwaltung und Bezirkspolitikern zusammensetzte. In den Augen vieler Oberbilker wurde aber trotz dieser Bemühungen eine historische Chance verpasst! Statt den neugewonnene Raum einer städtebaulichen Gesamtgestaltung zuzuführen, die auch die Geschichte des Stadtteils widerspiegelt und zu einer Visitenkarte des multikulturellen Oberbilks hätte werden können, zu einem Raum, in dem sich Identitätsstiftendes wiederfindet und Vergangenheit, Gegenwart und die Zukunft eine Einheit bilden, wurde alles „abgeräumt“, was als „störend“ angesehen wurde: vom Sitzrondell mit schattenspendendem Ahorn-Baum im Hochbeet, das als Hinweis auf die Industriegeschichte wie ein riesiges steinernes Zahnrad gestaltet war, bis zu den historischen Gaslaternen, die später als Industriedenkmal gesamtstädtisch zum größten Teil unter Schutz gestellt wurden. Und auch der symbolträchtige Luftschacht über dem Luftschutzbunker unter dem Platz musste weichen: Es war genau der Schacht, an dem eine Heeresstreife unter dem Kommando des NS-Gauleiters noch kurz vor Kriegsende am 15. April 1945 den 72-jährige jüdischen Oberbilker Moritz Sommer aufgehängt hatte. Auch der Abriss des kioskähnlichen Milchbüdchens (das im Milchbüdchen von Jakob Broich einen historischen Vorgänger hatte) und das als typisches Düsseldorfer Büdchen für viele ein wichtiges identitätsstiftendes Element im öffentlichen Raum ist, konnte nicht verhindert werden. Die Planer machten vor nichts Halt, was den langjährigen Bewohner*innen Oberbilks lieb und heilig war. In den Plänen für die Neugestaltung gab es, trotz vieler Vorschläge aus der Bürgerschaft und auch aus der Politik, nicht einmal Platz für ein Boden-„Denk-mal!“: etwa in Gestalt eines Stücks Gleisbett der früheren Eisenbahnlinie mit Steinquadern aus 110 Ländern mit der Inschrift „Willkommen“. Es gab auch keinen Platz für eine unübersehbare Skulptur, beispielsweise von einem renommierten Künstler wie Bert Gerresheim („Die alten Themen ins Heute holen“, Rheinische Post vom 12.10. 2020), die die Geschichte des Platzes in der Mitte Oberbilks hätte erzählen können: von den schweren Barrikadenkämpfen 1919 am Oberbilker Markt und der näheren Umgebung, dem „Spartakistenaufstand“ mit 50 Toten, bis zu einer Erinnerungstafel für den zeitweiligen Arbeiterräteführer Karl Schmittchen, der für kurze Zeit zum Oberbürgermeister der Stadt wurde.

Barrikaden während des „Spartakistenaufstands“ in der Nähe des Oberbilker Marktes (Ecke Kruppstraße/Ellerstraße), 14. April 1919; Foto: Julius Söhn, StAD 5-8-0303-100.0043

Auch für Hinweise auf den Flugzeugabsturz am 13. Oktober 1941 auf den Häuserblock an der Kruppstraße/Ecke Oberbilker Markt, der vielen Bewohnern das Leben kostete, oder die Bombardierungen während des Kriegs, durch die 1943 die nahegelegene Christuskirche und die Häuser bis zum Oberbilker Markt in Trümmer gelegt wurden, war kein Platz. Nur das Mobiliar des Spielplatzes, das die Formen einer Eisenbahn annehmen durfte, lässt erahnen, dass Wünsche der Bürger gehört wurden. Auf einem Kinderspielplatz denkt man aber dann vielleicht doch eher an „Jim Knopf und die wilde 13“ als an die Eisenbahngeschichte des Stadtteils. ist eben nicht die Stadtmitte, nicht die Carlstadt, wo sich Architekten und Stadtplaner austoben wollen und dürfen. Von dem Versprechen des damaligen Oberbürgermeisters Thomas Geisel, auch die dezentral gelegenen Stadtteile zu stärken, blieb nichts, was über die Kompetenzen des Amtes für Verkehrsmanagement hinausgegangen wäre. Es gab für den Umbau des Platzes auch kein Konzept zur Einbeziehung des 1941 erbauten großen unterirdischen Luftschutzbunkers. Daraus hätte vielleicht ein neues Zentrum der Subkultur werden können, wie der Hochbunker Aachener Straße oder die alte Toilettenanlage am „Adersplätzchen“. Und es gab keine wirklichen Bemühungen der Ämter, den Wunsch der Oberbilker und der Baumschutzgruppe Düsseldorf zu entsprechen, auf dem Oberbilker Markt auch einen sogenannten „Lebenden Weihnachtsbaum“ zu pflanzen, wie auf dem Fürstenplatz, dem Adolph-von-Vagedes Platz oder am Zoopark, Nähe Brehmplatz. Das hätte Geld gespart, wäre nachhaltig gewesen und hätte der Identifikation der Bürger mit ihrem Platz dienen können. 

Aber die Kölner Straße ist schließlich nicht die Königsallee, die man für Touristen herausputzen will. Und so musste im ehemaligen Arbeiterstadtteil Oberbilk 2009 zur Neugestaltung alles weg, was nicht zum neuen Justizgebäude und zum architektonisch anspruchsvoll gestalteten „Haus der Wirtschaft“ sowie dem Klientel, das man sich von den neuen Funktionen in diesen Gebäuden erhoffte, zu passen schien. Viele Namensgebungen für Straßen waren unglückliche Entscheidungen. Machen Bezüge zu historischen Straßen- und Eisenbahnverbindungen noch Sinn für die Namensgebung (z.B. Kölner Straße, Mindener Straße), fehlt bei der Straßenbenennung mit den Namen von Partnerstädten Düsseldorfs (z.B. Warschauer Straße, Haifa Straße, Moskauer Straße) ein Bezug zum Stadtteil. Man gewinnt den Eindruck, als hätte Oberbilk nichts Eigenes, nichts historisch Bedeutendes zu bieten oder man schämte sich vielleicht sogar seiner Geschichte als „rotes“ Arbeiterviertel und möchte sie vergessen machen. 

Es sollte ein Ziel von Erinnerungspolitik sein, die Geschichte des Stadtteils am Oberbilker Markt sichtbar zur Geltung zu bringen. Dabei könnte man dann auch auf die bisher zu sehr vernachlässigte Rolle der Frauen eingehen, beispielsweise durch die Figur einer Farbrikarbeiterin auf einer Litfasssäule. Installationen dieser Art sind ein Markenzeichen des Künstlers Christoph Pöggeler und sind bereits an vielen Orten in der Stadt zu finden. Man könnte bei neuen Straßenbenennungen Frauen würdigen, die auch auf dem Oberbilker Markt für Frauenrechte, wie etwa das Frauenwahlrecht, eingetreten sind. Ein „Frauenrechteplatz“ auf dem Gelände der ehemaligen Paketpost (jetzt das „Grand Central“-Gelände, auf dem sich aus spekulativen Gründen derzeit nichts bewegt) wäre ein Pendant zur nahegelegenen Eintrachtstraße. Wünschenswert wäre auch eine „Gräfin Sophie von Hatzfeld-Straße“, die als frühe Feministin und Arbeiterführerin während der Düsseldorfer Revolution 1848/49 Beispielhaftes geleistet hat. Und wir sollten die vielen Frauen des Widerstands gegen die Nazi-Diktatur nicht vergessen, die in Oberbilk zu Hause waren und auch auf dem Oberbilker Markt Geschichte für das demokratische Deutschland geschrieben haben (Maria Wachter, Klara Schabrod, Cilly Helten und viele andere).

Der Oberbilker Markt teilt unter den Plätzen in den 50 Düsseldorfer Stadtteilen mit dem Schwanenmarkt die Besonderheit, offiziell nicht „Platz“ genannt zu werden. Beide verbindet zudem, dass sie im Zuge der Trassenführung der „Cöln-Mindener Eisenbahngesellschaft“ angelegt wurden, ihre Bedeutung als wichtige Märkte später aber auch wieder verloren. Und während der Schwanenmarkt in der wohlhabenden Carlstadt unweit der Königsallee in seiner Mitte ein Brunnendenkmal in einer gärtnerischen Anlage erhielt und später ein Denkmal für den größten Sohn der Stadt, dem Dichter der Liebe und der Revolution, Heinrich Heine, warten die Frauen und Männer der Arbeiterklasse und die Migrant*innen aus vielen Ländern der Erde im „roten Oberbilk“ weiterhin auf ihre Anerkennung durch die Stadtgesellschaft, auf die Würdigung und den Respekt gegenüber der Geschichte auch dieses ärmeren Teils der Stadt und ihrer „Arbeiter-Kö“, der Kölner Straße, und ihrem zentralen Freiraum, dem scheinbar geschichtslosen, aber tatsächlich  sehr geschichtsträchtigen Oberbilker Markt. 

Die Düsseldorfer Planungsderzentin Cornelia Zuschke hat in einer Veranstaltung der „Akademie der Immobilienwirtschaft“ geäußert, es gehe in Düsseldorf darum, gute Plätze zu kreieren, darum, eine Art „erweiterte Wohnung, ein Stück Heimat“ zu schaffen (Rheinische Post, 12.6. 2021). Mit dem Oberbilker Markt könnte die Stadtpolitik sofort mit der Umsetzung beginnen.

Quellen: Achten, Udo (1989): Düsseldorf zu Fuß. 17 Stadtteilrundgänge durch Geschichte und Gegenwart. Hamburg; Kleinfeld, Hermann (1996): Düsseldorfs Straßen und ihre Benennung. Düsseldorf; Landeshauptstadt Düsseldorf: https://www.duesseldorf.de/verkehrsmanagement/verkehrsmanagement/raeume-und-plaetze/realisiert/oberbilker-markt.html, 18.1. 2021; Mauer, Benedikt (o.D.): Die Industrialisierung in Oberbilk; Oberbilk in der Zeit des Nationalsozialismus; Oberbilk in der Nachkriegszeit (unveröffentlichte Manuskripte).


Das Schicksal von Moritz Sommer
Marina Lukas

Moritz Sommer wurde am 19. Juni 1872 in Leuthold bei Aachen geboren. Unmittelbar vor Kriegsende wurde er am 15. April 1945 von einer Heeresstreife in Düsseldorf ermordet und zur Abschreckung auf dem Oberbilker Markt an einem Lüftungsschacht aufgehängt. (Heeresstreifen standen zunächst unter dem Kommando der Wehrmacht, in Düsseldorf wurden sie Anfang April 1945 aber direkt dem NSDAP-Gauleiter unterstellt).

Moritz Sommer wohnte bis 1942 auf der Linienstraße 19. Dort wurde er oft von seinem Freund Heinrich Rondi, einem ehemaligen Weltmeister im Ringen und Stemmen, durch Warnzeichen vor Durchsuchungen gewarnt. Als sogenannter „Halbjude“ wurde Moritz Sommer vom nationalsozialistischen Rassenwahn bedroht. Durch seine Handwerkstätigkeit als Klempner, vorwiegend bei Bauern in Meerbusch, war die Versorgung seiner Familie mit Lebensmittelkarten gesichert. Moritz Sommer wurde während des Krieges zeitweise von Hubert Brauckmann in einem Holzhaus in Korschenbroich versteckt, um ihn vor der Judenverfolgung zu schützen. Kurz vor Kriegsende fiel er einer Heeresstreife in die Hände, die ihm vorwarf, Deserteuren geholfen zu haben. Am 15. April 1945 wurde der 72-jährige Moritz Sommer ermordet und zur Abschreckung auf dem Oberbilker Markt an einem Lüftungsschacht aufgehängt. Zwei Tage später marschierten amerikanische Truppen in Düsseldorf ein.

Der Schriftsteller Dieter Forte erzählt in seiner Romantriologie Das Haus auf meinen Schultern die Geschichte von Moritz Sommer. In seinem Buch nennt er ihn Opa Winter. 

Eine Gedenktafel und eine versäumte Gelegenheit
Helmut Schneider

An das Schicksal des 72-jährigen jüdischen Mitbürgers Moritz Sommer erinnert eine Tafel neben dem Eingang zum Polizeirevier auf dem Oberbilker Markt. Leider wurde der zu dem Bunker unter dem Platz gehörende Lüftungsschacht, an dem nach mehreren zeitgenössischen Schilderungen die Heeresstreife Moritz Sommer zur Abschreckung aufgehängt hat, im Zuge der Neugestaltung des Oberbilker Marktes nicht als Gedenkort erhalten. Der Bildhauer Bert Gerresheim hat aber diese Szene in dem von ihm geschaffenen Monument vor der nahegelegenen St. Josephs-Kirche festgehalten.

Gedenktafel für Moritz Sommer, Oberbilker Markt, Foto: H. Schneider
Detail aus dem St. Josephs-Monument von Bert Gerresheim, Foto: H. Schneider
Blick vom Oberbilker Markt auf das Haus der Wirtschaft und Industrie (HWI), Foto: H. Schneider 1996

Der Lüftungsschacht des Bunkers, der sich unter dem Oberbilker Markt befindet, ist auf der Aufnahme von 1996 noch zu sehen. Leider musste der Schacht der Neugestaltung des Oberbilker Marktes weichen.

Das Graffiti auf dem Schacht bezieht sich auf eine Protestkampagne, die sich in den 1990er Jahren gegen das ambitionierte Projekt eines „Internationalen Handelszentrums“ (IHZ) richtete, das auf der Industriebrache zwischen Bahnlinie, Kölner Straße, Eintrachtstraße und der Werdener Straße entstehen sollte, aber in der geplanten Form nie realisiert werden konnte – bis auf das „Haus der Wirtschaft und Industrie“ (HWI), das auf dem Foto zu sehen ist (vgl. die Karte im Oberbilk-Beitrag im Düsseldorf-Atlas, s.u.). Der Protest hatte sich nicht zuletzt daran entzündet, dass die z.T. alternativ genutzten, von den Eigentümern schon aufgegebenen Wohnhäuser entlang der Kölner Straße der geplanten Umgestaltung des Areals weichen sollten. Die Protestparole „IHZ nie“ hat auch auf dem Monument von Bert Gerresheim vor der St. Josephskirche seinen Niederschlag gefunden.

Detail aus dem St. Josephs-Monment von Bert Gerresheim, Foto: H. Schneider


Wie ist Puschkin nach Oberbilk gekommen?
Helmut Schneider

Foto: H. Schneider 2021


Der Oberbilker Markt wird als Platz durch die Kölner Straße in zwei Teile getrennt. Auf dem kleineren, nördlichen Teil vor dem Bürogebäude „Central Park Offices Düsseldorf“ steht ein Denkmal des russischen Schriftstellers Alexander Puschkin (1799-1837), der in seiner Heimat als der bedeutendste Nationaldichter gilt. Zu seinen Lebzeiten gab es das Industrie- und Arbeiterviertel Oberbilk allerdings noch gar nicht. Was hat Puschkin mit Oberbilk zu tun? Warum wird er auf dem Oberbilker Markt mit einem Denkmal geehrt?

Das Bürogebäude mit seiner außergewöhnlichen Gestaltung wurde von einem russischen Architekten entworfen und 1994 fertiggestellt. Und zu diesem damals „Haus der Wirtschaft und Industrie“ (HWI) genannten Gebäude gehörte auch der Vorplatz mit dem Puschkin-Denkmal. Das HWI wurde im Zuge der politischen Öffnung der Sowjetunion gegenüber dem Westen unter Präsident Michail Gorbatschow als sowjetisches Handelszentrum und „Schaufenster“ nach Europa geplant. Es sollte in Oberbilk Teil des sehr ambitionierten, aber am Ende gescheiterten Konzepts werden, auf der Industriebrache nordöstlich der Kölner Straße ein „Internationales Handelszentrum“ (IHZ) zu etablieren. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden diese Pläne allerdings hinfällig. Kurzzeitig wurde das Gebäude noch als russisches „Ost-West-Haus der Wirtschaft und Industrie“ genutzt. Nach dem Rückzug der russischen Partner firmierte es nur noch als „Haus der Wirtschaft“, inzwischen heißt es „Central Park Offices Düsseldorf“. Eine wirtschaftliche Verbindung mit Russland existiert nicht mehr.
 
Mit dem Denkmal für Puschkin wurde auch symbolisch der Anspruch der damaligen Sowjetunion zum Ausdruck gebracht, nicht nur militärisch und ökonomisch, sondern auch kulturell als Großmacht zu gelten. Heute kann das Denkmal noch an die damaligen hochfliegenden politischen Pläne und städtebaulichen Konzepte erinnern, die auf einer Industriebrache in Oberbilk realisiert werden sollten. Und es zeugt noch von den großen Hoffnungen auf eine neue Ära der Verständigung zwischen Ost und West, die es nach dem Ende des Kalten Krieges in den 1990er Jahren gegeben hat. 

Quelle: Glebe, Günther/Schneider, Helmut (1998): Going Global? Städtebaulicher Wandel in Oberbilk. In: Glebe, Günther/Schneider, Helmut (Hrsg.): Lokale Transformationsprozesse in der Global City. Düsseldorf-Oberbilk – Strukturwandel eines citynahen Stadtteils. Düsseldorf, 89-128. (Düsseldorfer Geographische Schriften, Heft 37).

Oberbilk – eine Welt aus vielen Kulturen

Helmut Schneider

„Oberbilk war die Welt … dieses Fleckchen Erde, das jahrhundertelang als Ödnis unter einem offenen Himmel lag, Sand und Gesträuch, einsames Gehölz und unbekannte Wege zwischen Morgen- und Abenddämmerung, Sonnen- und Regentagen, bis in einem Schöpfungsakt von wenigen Jahren aus diesem stillen, gottvergessenen Brachland ein vibrierender, feuerspeiender, ohrenbetäubender Ort entstand …“. Auf geradezu poetische Weise beschreibt Dieter Forte, der in Oberbilk geborene und aufgewachsene, im Jahr 2019 in Basel verstorbene Schriftsteller in seinem Roman „Das Muster“ (1992 als erster Band seiner „Tetralogie der Erinnerung“ erschienen) die Entstehung des ersten Industrie- und Arbeiterviertels Düsseldorfs in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. 

Für die damalige wirtschaftliche Entwicklung Düsseldorfs waren die Lage zwischen den schon früh von der Textilindustrie geprägten Städten Elberfeld und Barmen an der Wupper sowie dem Rhein als Verkehrsweg und die Nähe zu den Kohlezechen im Ruhrgebiet ausschlaggebend. Oberbilk bot für die Ansiedlung von Industriebetrieben ausgesprochen günstige Standortvoraussetzungen: Die Trassen der ersten westdeutschen Eisenbahnlinie von Düsseldorf nach Erkrath (1838) und Elberfeld (1841) sowie der Köln-Mindener Bahn (1845) verliefen durch den Stadtteil. Den Fabriken in Oberbilk bot sich damit die Möglichkeit eigener Gleisanschlüsse zum An- und Abtransport von Gütern. Am damaligen Rand des dicht bebauten Stadtgebiets bestand zudem kein Mangel an sofort verfügbaren freien Flächen. Leitbranche der Industrialisierung war die Eisen- und Stahlindustrie.

Die ersten Industrieunternehmer kamen allerdings nicht aus Düsseldorf, in der ehemaligen Residenz- und Verwaltungsstadt gab es keine nennenswerte Tradition des produzierenden Gewerbes. Unternehmer wie der aus Wallonien stammende Jaques Piedboeuf oder die aus der Eifel stammende Familie Poensgen, zu der auch der spätere Gründer des Oberbilker Stahlwerks Carl Poensgen gehörte,  brachten deswegen nicht nur Ingenieure und Techniker, sondern auch ihre Facharbeiter mit. Arbeitskräfte kamen aber auch von weiter her, aus Irland, England, Frankreich, Holland oder Polen. Arbeitersiedlungen entstanden in unmittelbarer Nähe der Fabriken, denn die Arbeitsstätten mussten fußläufig erreichbar sein. Diese kleinräumige Verzahnung von Arbeiten und Wohnen wirkt sich bis heute prägend auf die bauliche Struktur des Stadtteils aus. Zwar sind die Fabriken längst verschwunden und neuen Nutzungen gewichen, aber die Wohnbebauung hat sich vielfach an den früheren Standorten erhalten. So erinnert z.B. die Eifeler Straße noch an die Herkunft vieler Arbeitskräfte, die in den Fabriken der Poensgens an der Kölner Straße beschäftigt waren. Die aus unterschiedlichen Herkunftsregionen stammenden Arbeiter brachten ihre je eigene Sprache, Religion und Lebensart mit, sie pflegten ihre eigenen Feiertage und kulinarischen Vorlieben. Es entstand, um noch einmal Dieter Forte zu zitieren „eine vielsprachige, fremdartige, künstlich geschaffene neue Welt aus vielerlei Kulturen, eng zusammenlebend, den Gesetzen der Produktion folgend …“. 1885 war die Einwohnerzahl Oberbilks bereits auf 11.800 angestiegen, und mit ca. 32.000 erreichte sie kurz vor dem Zweiten Weltkrieg ihren Höchststand. 

Phoenix Walz-und Röhrenwerke (Vereinigte Stahlwerke AG, ehem. Düsseldorfer Eisen- und Röhrenwerke), um 1930, Quelle: Stadtarchiv 5-8-1-234_0007_0002

Ein gravierender Strukturwandel, der zum nahezu vollständigen Verschwinden der In-dustrie und zum Aufstieg eines neuen Dienstleistungssektors in Oberbilk führen sollte, setzte dann in den 1960er Jahren ein und verstärkte sich in den 1970er Jahren. Aber bis dahin hatte sich die industrielle Struktur des Stadtteils nicht wesentlich verändert. Zur Deckung des Arbeitskräftebedarfs im Nachkriegsboom mussten für die Fabriken in Oberbilk ausländische Arbeitskräfte angeworben werden. Die jetzt „Gastarbeiter“ genannten Arbeitskräfte, von denen wie ein Jahrhundert zuvor viele auf Dauer bleiben sollten, kamen nun aus Italien, Spanien und Griechenland, später aus Jugoslawien und der Türkei. Viele kamen auf der Suche nach besseren Lebens- und Arbeitsbedingungen aus noch entfernteren Regionen, andere mussten als Flüchtlinge ihre Heimat verlassen und fanden in Oberbilk ein neues Zuhause. Heute leben im Stadtteil Oberbilk wieder rund 30.000 Menschen. Davon haben fast 56 % eine Migrationsgeschichte, weitaus mehr als im gesamtstädtischen Durchschnitt (knapp 42 %, Stand Ende 2018). 

Kinder veranstalten einen Zirkus – Sommerfest auf dem Lessing-Platz 2019
Foto: H. Schneider

Dieter Fortes Beschreibung einer „neuen Welt aus vielerlei Kulturen“, die in Oberbilk mit der Industrialisierung entstanden war, lässt sich ebenso gut auf die heutige Bevölkerungsstruktur beziehen – allerdings mit einem entscheidenden Unterschied: Das verbindende Element der gemeinsamen, durch die Arbeit in den Fabriken des Stadtteils geprägten Lebensweise ist heute verschwunden. Die Unterschiede zwischen den „vielerlei Kulturen“ werden sichtbarer und auch anders erlebt. Für das Zusammenleben im Quartier stellen sich damit neue Herausforderungen.

Oberbilks Geschichte hat gezeigt, dass ein zwar nicht immer konfliktfreies, aber von gegenseitiger Toleranz geprägtes Miteinander in Verschiedenheit gelingen kann. Diese historische Erfahrung erlaubt es, auch der Zukunft des Stadtteils mit Zuversicht entgegen zu sehen.

Erschienen in: 40/zwozwo/7 – Das Stadtteilmagazin der SPD-Oberbilk, 4/2020, aktualisiert 20.8. 2020



Oberbilk im Düsseldorf-Atlas

Die Wiedergabe der folgenden beiden Kapitel aus „Der Düsseldorf Atlas. Geschichte und Gegenwart der Landeshauptstadt im Kartenbild“ (Köln 2004), hrsg. von Harald Frater, Günther Glebe, Clemens von Looz-Corswarem, Birgit Montag, Helmut Schneider und Dorothea Wiktorin, erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Kölner Emons-Verlags.

Dargestellt wird im Beitrag von Helmut Schneider der Wandel des ehemaligen Arbeiterquartiers Oberbilk von den Anfängen im 19. Jahrhundert bis zu den ersten Ansätzen der Gentrifizierung Ende der 1990er/Anfang der 2000er Jahre (vgl. Karte unten).

Dieser Wandel kommt in der Veränderung der Nutzungsstruktur der Stadtteilgeschäftsstraße Kölner Straße – im Volksmund auch „Arbeiter-Kö“ genannt – prägnant zum Ausdruck: Die Nutzung der Kölner Straße durch Einzelhandel und Dienstleistungen wird in dem Beitrag von Günther Glebe für die Jahre 1889 und 2004 vergleichend dargestellt. Dazu wurden die Adressbücher der Stadt Düsseldorf ausgewertet.







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